ARCH ENEMY – ALISSA WHITE-GLUZ im Gespräch

ARCH ENEMY – ALISSA WHITE-GLUZ im Gespräch
Arch Enemy 04/2017

Es ist zwar schon eine Weile her, seit ich mit ARCH ENEMY – Frontfrau Alissa sprechen konnte und die Festival-Wochenenden haben auch nicht gerade mehr Zeit gebracht – jetzt aber soll die sympathische Kanadierin mit der rauhen Stimme endlich zu Wort kommen.


Zur Person

Alissa White Gluz wurde 1985 in Montreal/Kanada geboren und war Mitbegründerin der Metaller von THE AGONIST. Seit 2014 ist die Frau mit dem Growl – den sich viele Metal-Männer wünschen würden – Frontröhre der schwedischen Melodic Deather ARCH ENEMY. Damals hat sie die Truppe zur gleichen Zeit geentert wie JEFF LOOMIS, was ARCH ENEMY richtiggehend nach vorne katapultierte. „Will To Power“ ist das zweite Album mit Alissa am Mikrofon – hier anklicken, dann geht es direkt zur Review.

Also sehen wir einmal, warum Alissa LADY GAGA nicht mag, viel auf Freundschaft gibt und ein Soloprojekt gestartet hat.


Let’s talk…

MN: Hi Alissa, wie geht es dir aktuell und was bestimmt deinen Tag – wenn du nicht gerade Interviews gibst?

AWG: Danke, es geht mir gut. Und meinen Tag bestimmen momentan wirklich die Interviews zu „Will To Power“ – da bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge.
Aber das freut mich natürlich, denn es ist schön, wie viele Menschen sich für das neue Album interessieren, wie gut es ankommt. Das ist toll, weil wir echt viel Arbeit in die Scheibe investiert haben.
Allerdings haben wir schon den einen oder anderen Auftritt. Das ist dann eine gute Abwechslung zu den Interviews.


MN: Wir sprechen etwas später noch mehr über das Album. Zuerst interessiert mich, was dir an deinem Heimatland Kanada an meisten gefällt.

AWG: Also, ich bin keine besonders patriotische Person, ich fühle mich nicht so sehr einem Land oder einer Stadt zugehörig. Wenn du so viel unterwegs bist und die ganze Welt bereist, dann wird dir klar, dass Menschen einfach Menschen sind, egal welche Sprache sie sprechen, welche Hautfarbe sie haben, welches Geschlecht oder aus welchem Land sie kommen.
Aber ja, ich lebe gerne in einem Land, in dem die Menschen frei sind, du das Leben einigermassen finanzieren kannst und du ein gutes Gesundheitswesen hast. Darüber sind alle Kanadier glücklich. Ich bin dort geboren und fühle mich wohl, geniesse vor allem die Freiheit und weiss das auch zu schätzen.
Aber ich würde nie so etwas sagen wie „Kanada ist das beste Land der Welt.“


MN: Dann lass uns etwas mehr über dich als Person sprechen. Wenn du Jemandem beschreiben müsstest, wie du als Sechzehnjährige warst, was würdest du erzählen?

AWG: Zuerst einmal – ich hatte mit sechzehn schon blaue Haare und ein Piercing in meinen Lippen. Ich war eigentlich schon ziemlich ähnlich wie heute. (lacht)
Ich spielte damals schon in meiner ersten Metalband, gleichzeitig war ich aber auch ein skateboardender Teenager. Nachdem ich mir zweimal Knochen gebrochen hatte, gab ich den Traum vom Skateboard-Pro auf – das ist wohl doch ziemlich gefährlich. (lacht wieder, wie sie das übrigens häufig tut. Ein erfrischendes, freundliches Lachen.)
Ich habe mich dann aufs Singen konzentriert, gleichzeitig aber High School und College absolviert, habe viel gemalt. Davon habe ich eine zeitlang gelebt; den Leuten Bilder zu verkaufen oder ihre Wände und Mauern zu bemalen. Ich konnte da auch Design-Aufträge von Theatertruppen in Montreal ergattern. Aber sonst war ich wie gesagt ziemlich dieselbe Person wie heute.
Damals war ich ein Teenager, der alles wusste – normal halt. Ich wusste zwar, dass ich nichts wusste, das konnte ich aber gut verbergen.
Heute bin ich natürlich viel reifer und weiser…


MN: Du scheinst viele Talente zu haben. Welche aussergewöhnliche Begabung würdest du zeigen, wenn du bei „Canada’s Got Talents“ dabei wärst?

AWG: Du meinst ausser Singen? (denkt eine Weile nach) Ich habe keine Ahnung, ich weiss nicht, ob ich irgendwelche Talente habe. Ich probiere gerne Dinge aus und arbeite dann hart daran. Ich könnte da eventuell noch „Augenbrauen bewegen“ anbieten. Zählt das?


MN: Lass uns ein wenig über deine Arbeit plaudern. Was ärgert dich am Musikbusiness am Meisten?

AWG: Schwierig. Das Musikbusiness, in dem ich arbeite und von dem ich Teil bin, ist riesig. Speziell in der Metalwelt – die ich kenne – gibt es eine enorme Menge an talentierten Musikern und Bands, die einander gegenseitig unterstützen. Und das gilt auch für die Fans.
Was mich wirklich ärgert – und das gibt es wohl in jedem Business – sind Leute, welche da aus den falschen Gründen mitmachen. Das sind Menschen, deren einziges Bestreben ist, besser als die Anderen zu werden. Ein gutes Bestreben wäre aber, zusammen mit den Anderen besser zu werden. Im Musikbusiness kannst du viel über Menschen lernen und darüber, wie Menschen sich verhalten. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Menschen sich nicht so verhalten würden. Aber ich befürchte, das wird sich nicht ändern, ich fürchte, dass Menschen so sind.


MN: Welches ist aus deiner Sicht die überbewertetste Band der Welt?

AWG: (denkt ein wenig nach und antwortet dann leicht fragend) Vielleicht NICKELBACK? (lacht sehr laut) Ich finde nichts Besonderes an ihrer Musik, finde ihren Frontmann auch nicht charismatisch. Ich weiss, dass sie eine kanadische Band sind und enorme Erfolge eingefahren haben. Aber ich verstehe nicht, wer ihre Fans sind. Niemand, den ich darauf anspreche, ist Fan, aber die Band verkauft ihre Alben millionenfach…

MN: Und wer ist der oder die am meisten überbewertete Sänger / Sängerin?

AWG: Dafür werde ich möglicherweise einen shitstorm ernten, aber ich würde sagen LADY GAGA. Sie ist eine sehr talentierte Musikerin und Songwriterin. Aber ich höre nichts bahnbrechendes in ihrem Sound. Und was ich an ihr verabscheue ist, dass sie Tiere unter dem Label „Kunst“ quält und zur Schau stellt.
Das geht gar nicht für Jemanden, der Millionen Fans hat, die zu ihm aufschauen. Jemand, der etwas bewegen könnte, die Welt vielleicht ein bisschen besser machen. Was sie tut ist nur grausam und unverantwortlich. (Alissa spricht sehr engagiert, ihre Betroffenheit ist offensichtlich…).
Auf der anderen Seite verstehe ich, dass sie viele Fans hat, weil sie „catchy“ Songs schreibt. Mein Geschmack ist das nicht, weder was die Musik anbelangt noch den Menschen.

MN: Dann noch dies; gibt es einen Musiker oder eine Musikerin, von dem/der du sagen würdest; das ist der Schönste oder die Schönste?

AWG: Also klar, zuerst mein Freund Doyle, Gitarrist der MISFITS und seiner eigenen Band DOYLE. Er ist ein mensch, der nicht nur äusserlich schön ist, sondern auch ein ganz toller Mensch. Er ist „super super nice“. Ich glaube, er ist der beste Mensch auf der Welt. Manchmal frage ich mich sogar, ob er wirklich ein Mensch ist. (lacht herzlich)


MN: Lass uns wieder etwas ernster werden. Als Frontfrau bei THE AGONIST hast du clear gesungen. Gab es einen bestimmten Moment oder einen bestimmten Grund, dass du angefangen hast zu growlen?

AWG: Ich habe schon in der ersten Band gegrowlt. Um ehrlich zu sein, weiss ich nicht einmal mehr den Namen. Aber wir spielten eine Art progressiven Sound, so ähnlich wie DREAMTHEATER. Wir spielten furchtbar lange Tracks.
Da habe ich clean und growlend gesungen, das gab mir mehr Spielraum, eine neue Art von Dynamik. Das gibt so eine spezifische Energie, einen Fokus auf der Bühne. Und beim Growlen musst du etwas weniger präzise sein, hast etwas mehr Freiheit, dich gesangsmässig zu bewegen – das ist auf der Bühne sehr hilfreich. Und es macht Spass, Aggressivität und Wut so auszudrücken.

MN: Auf eurem neuen Album gibt es auch wieder beide Parts. Auf „Will To Power“ wechselst du wieder zwischen beiden Gesangsstilen ab. Bleibt das eine Ausnahme bei ARCH ENEMY oder wird es davon auch zukünftig mehr geben.

AWG: Ich weiss nicht. Wir haben das nicht so bewusst geplant. Das hat viel mit Gefühl zu tun. Es gibt also möglicherweise mehr Cleangesang bei ARCH ENEMY, wenn es für den jeweiligen Song Sinn macht und gut klingt. Und natürlich machen wir uns jetzt noch keine Gedanken über ein neues Album, schliesslich steht „Will To Power“ vor der Tüt und wartet darauf, auf die Meute losgelassen zu werden.


MN: Was kannst du uns über „Will To Power“ erzählen? Was zeichnet das kommende Album aus?

AWG: Ich glaube, „Will To Power“ ist ein sehr starkes Album, zuversichtlich. Ich glaube, es ist uns gelungen, jeden Track als „major gold“ zu gestalten, so gut, wie der Song sein kann. Das Album ist sehr kompakt und stimmig und bietet trotzdem viel Abwechslung. Das ist ARCH ENEMY, so klingt ARCH ENEMY aktuell – gut!
„Will To Power“ ist der nächste Entwicklungsschritt, wir haben uns auf Neuland begeben. Auch nach mehrmaligen Hören kannst du Neues entdecken.

MN: „Will To Power“ erscheint im September, wann wird man es live hören? Plant ihr bereits eine Tour?

AWG: Ja, nachdem wir einige Festivals spielen und dort schon den einen oder anderen neuen Song präsentieren, geht es ab September auf Tour, quer durch Europa, Russland und die USA sowie Kanada. (http://www.archenemy.net/en/tour/tour-dates – am 15. Januar 2018 spielen ARCH ENEMY im Komplex Zürich)
Es braucht also Niemand traurig zu sein, wenn der Name seiner Stadt noch nicht auf dem Tourplan steht, es werden noch viel mehr Konzerte dazukommen, wir touren in den nächsten Monaten rund um die Welt.


MN: Ich habe gehört, dass du ein Soloprojekt startest. Wirklich?

AWG: Ja, unsere Managerin Angelo (Gossow, frühere Sängerin bei AE)hat mich darauf gebracht. Sie managt also nicht nur ARCH ENEMY sondern auch ALISSA. So heisst das Projekt.
Das wird ein Projekt sein, wo ich clean singe und jede Menge eigenen Ideen verwirklichen kann. ARCH ENEMY wird nächste Jahr einige Zeit haben, in der wir „nichts“ tun. Und die Zeit muss ich irgendwie überbrücken – ich bin nämlich ein Workaholic, ich muss einfach immer etwas zu tun haben.
Das Album ist für 2018 geplant, denn wir haben mit ARCH ENEMY noch mehrere Kohlen im Feuer, beispielsweise eine DVD.
Ich arbeite daran, manchmal allein, manchmal mit Freunden. Mit Leuten von KAMELOT, DELAIN oder DOYLE. Es werden auch Leute von ARCH ENEMY dabei sein, aktuelle und frühere Mitglieder.
Ich werde da viele Songs aufnehmen, die teilweise ähnlich wie ARCH ENEMY klingen werden, teilweise aber völlig anders. Es wird etwas mehr rockorientiert sein, aber trotzdem „spooky, dark and moody“ und definitiv mit Metal-Elementen.


MN: Sprechen wir nochmals etwas über den menschen Alissa; was bedeutet dir Freundschaft?

AWG: Freundschaft bedeutet für mich, Menschen zu unterstützen und nicht über sie zu richten, fähig sein, sie im Guten wie im Schlechten anzunehmen. So bin ich mit meinen Freunden und so sind meine Freunde mit mir. Ich denke, so funktioniert Freundschaft.

MN: Wenn du auswählen könntest, mit wem du einen Abend verbringen möchtest, wer wäre das? Wahrscheinlich nicht Chad Kroeger?

AWG: Nein! (dann denkt sie lange nach, windet sich ein wenig…) Ganz ehrlich – meine Mutter. Sie ist ein ganz wichtiger Teil in meinem Leben, eine wunderbar starke, intelligente und kreative Frau. Weisst du; ich liebe meine Mutter und mag es, Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr rumzuhängen.

MN: Und; wenn heute der letzte Tag deines Lebens wäre, gibt es etwas, was du bedauern würdest, nie getan zu haben?

AWG: Wow, eine schwierige Frage. Ich versuche eigentlich so zu leben, dass ich nichts bereuen muss. Das ist wirklich eine gute Frage, weil sie einen dazu bringt, über sein Leben nachzudenken, darüber, was dir wichtig ist.
Ich weiss nicht, was ich bedauern würde, ich weiss es wirklich nicht.

MN: Dann kommen wir zu den „famous last words“, zu deinem Platz, um eine Botschaft an die Fans zu richten.

AWG: Also, liebe Fans in der Schweiz. Ich danke euch für den Support, den ihr ARCH ENEMY und mir leistest. Ich erinnere mich an jedes Konzert in der Schweiz, weil die Fans da so viel und so laut mitgesungen haben. Ihr seid ein wirklich cooles Publikum!
Und geniesst unser Album „Will To Power“ – freut euch daran, wie wir uns darüber freuen. Danke für eure Unterstützung!

MN: Alissa, danke für das Gespräch und dir und ARCH ENEMY weiterhin viel Erfolg!

AWG: Danke Danny für das Interview. Have A Nice Day!


Wie soll man keinen schönen Tag haben, nachdem man mit einer wunderbaren Frau sprechen konnte, die in einer der coolsten Bands der Welt spielt und sich als reflektierte, intelligente und humorvolle Frau präsentiert. Vielen Dank, Alissa!

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